Synagoge Sinzig

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Infotafel am ehemaligen Standort
Mahnmal Synagoge Sinzig.jpg

Die ehemalige Synagoge von Sinzig entging in der Pogromnacht am 9. November 1938 der Brandstiftung, weil sie sich im Mitteltrakt der Martelsburg, eines städtischen Gebäudes, befand. Am späten Vormittag des 10. Novembers wurden die Fensterscheiben der 1867 eingeweihten Synagoge an der Eulengasse 33 eingeschlagen. Die Inneneinrichtung (Bücher, Torarollen, Leuchter, Mobiliar) sind auf einen Haufen in den Hof geworfen und angezündet worden. Sinziger Juden begannen zwar noch am selben Tag mit der provisorischen Reparatur ihrer Synagoge, mussten jedoch feststellen, dass die Schäden für eine Wiederherstellung zu groß waren. Die Synagoge ist noch im Jahr 1939 für 4200 Reichsmark an die Stadt verkauft worden, die dort einen NS-Volkswohlfahrt-Kinderhort einrichtete. Während des Krieges diente das Gebäude als Soldatenlager, danach als Notunterkunft für Flüchtlinge, obwohl es inzwischen sehr heruntergekommen war. Nach 1945 kam das Gebäude zurück in den Besitz der jüdischen Kultusgemeinde Koblenz, die es 1953 an die Stadt verkaufte. Im Jahr 1970 wurde die auch zu dieser Zeit noch in städtischen Besitz befindliche Martelsburg mitsamt der ehemaligen Synagoge bis auf einen Teil, der in Privatbesitz war, abgerissen. Seitdem dient das Gelände als Parkplatz. Am 20. April 1992 wurde am Rand dieses Parkplatzes eine Gedenkstätte eingeweiht, die an das jüdische Gotteshaus und die jüdische Gemeinde von Sinzig erinnert.


Standort des Mahnmals[Bearbeiten]

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Chronik[Bearbeiten]

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nutzten die Sinziger Juden für das Sabbatgebet einen Betsaal in einem jüdischen Privathaus. Doch bald entstand der Wunsch nach einer Synagoge. Im Jahr 1865 kaufte die jüdische Gemeinde deshalb den Mittelteil der „Alten Burg“ (Martelsburg) und nutzte ihn für ihre Gottesdienste. Am 13. September 1867 wurde nach einem Umbau die neue Synagoge feierlich eingeweiht.

Im General-Anzeiger vom 9. November 2011 beschrieb Günther Schmitt die Ereignisse in der Pogromnacht in Sinzig folgendermaßen:

Mitglieder der NSDAP und SA-Leute verwüsteten in der Nacht zum 10. November vier Wohnungen und den Betsaal in der Alten Burg. Die Polizei hatte vom Sinziger Bürgermeister Anweisung erhalten, nicht in Erscheinung zu treten. Im Lauf des Vormittags wurden vier Juden aus Sinzig und zwölf aus Ahrweiler, Bad Neuenahr und Remagen durch Sinzig geführt. Unter ihnen auch der Viehhändler Louis Meyer, der wie seine Leidensgenossen ein Transparent mit der Aufschrift „Wir dulden keine Juden“ durch die Straßen tragen musste. Die 16 Männer wurden anschließend mit einem Feuerwehrwagen zum Gestapo-Gefängnis nach Koblenz gebracht.

Die Autoren des Ausatzes Die Novemberpogrome vom 9./10. November 1938 im Kreis Ahrweiler, in: Leonhard Janta/Hubert Rieck/Michael Riemenschneider: Kreis Ahrweiler unter dem Hakenkreuz: Die politische und wirtschaftliche Situation vor 1933. Die nationalsozialistische Diktatur 1933 bis 1945. Die politischen Konsequenzen nach dem Zusammenbruch 1945, mit einem Vorwort von Joachim Weiler, Herausgeber: Landkreis Ahrweiler, ISBN 3-9802429-2-7, 416 Seiten, S. 231-241, beschreiben den Ablauf des 9. und 10. November 1938 in Sinzig folgendermaßen:

Bereits in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 begannen in Sinzig die Verwüstungen. Vier Wohnungen wurden zerstört, die Synagoge, das heißt der Betsaal in der Martelsburg, wurde demoliert. Gebetbücher und die Thorarolle lagen auf der Straße. Neben einem Rollkommando in „Räuberzivil von auswärts nahmen auch Mitglieder der NSDAP und der SA aus Sinzig an den Zerstörungen Teil. Ein Sinziger NSDAP-Mitglied bat das Rollkommando, „die Synagoge nicht anzuzünden, als er sie bei ihrer Zerstörung antraf, damit der Gebäudekomplex nicht in Flammen aufgeht.” Die Sinziger Synagoge wurde nach den Zerstörungen von der Polizei „versperrt, um weitere Beschädigungen zu vermeiden.“ Der zuständige Polizeibeamte „hat auch bei den jüdischen Familien vorgesprochen und ihnen gedeutet, es werde ihnen nichts mehr geschehen.“ Während der Aktionen hatte die Sinziger Polizei vom Bürgermeister Anweisung erhalten, nicht in Erscheinung zu treten. Am 10. November 1938 wurden 4 Sinziger und 12 ortsfremde Juden - es wird sich um Männer aus Ahrweiler, Bad Neuenahr und Remagen gehandelt haben - im Laufe des Vormittags durch Sinzig geführt. Sie wurden gezwungen, ein Transparent mit der demütigenden Aufschrift „Weg mit den Meuchelmördern - wir dulden keine Juden“ zu tragen. Einer der Juden in diesem Zug durch Sinzig war Louis Meyer, dessen Wohnung in der Nacht völlig zerstört worden war. Während das Rollkommando in der Wohnung hauste, hatte sich die Familie im Keller versteckt. Nachbarn unterstützten Frau Meyer, die ihre Wohnung nicht verlassen durfte, mit den Lebensmitteln, nachdem ihr Mann mit den anderen „Judenmännern“ in einem Feuerwehrauto nach Koblenz ins Gestapogefängnis transportiert worden war. Von dort soll ein Weitertransport in eines der Konzentrationslager Dachau, Buchenwald oder Sachsenhausen erfolgt sein, worüber jedoch keine Angaben vorliegen.
Im „Sinziger Synagogenprozeß“ im Dezember 1951 wurden die Vorgänge in Sinzig vom 10. November 1938 wieder aufgerollt. Zwei Freisprüche und drei Verfahrenseinstellungen waren das Ergebnis des Prozesses der großen Strafkammer des Koblenzer Landgerichtes. Der Pressebericht über den „Synagogenprozeß“ trägt die Überschrift: „Wir sind noch einmal davongekommen“ und schließt mit der Forderung nach einem Schlußstrich unter das Ganze.
Die zeittypische Verdrängung der Vorgänge macht deutlich: „Ein betrübliches Kapitel unserer politischen Vergangenheit ist damit auch für Sinzig abgeschlossen. Die Angeklagten, die freigesprochen bzw. deren Verfahren wegen des Gesetzes über Straffreiheit eingestellt wurden, sind vor und nach diesen Vorgängen niemals straffällig geworden. Es bleibt zu wünschen, sie lernen daraus und die beschämenden Vorgänge fielen dem Vergessen anheim, freilich nicht ohne Bedenken für die Angeklagten, wohin unbedachte, gegen die Freiheit und das Lebensgut bis nächsten gerichtete Vergehen führen können: vor das Tor des Gefängnisses.“

Wilhelm Loskot beschreibt das Pogrom vom November 1938 in Sinzig folgendermaßen:[1]

Im Verlauf des 10. September 1938 führten ca. 20 auswärtige SA- und SS-Männer Ausschreitungen ... gegen die Synagoge und die jüdischen Familien durch ... Am frühen Morgen wurde von SS- und SA-Männern in Zivil die Synagoge geschädigt. Die Fensterschreiben wurden auf Wunsch von Anwohnern von außen eingeschlagen, damit die zerberstenden Scheiben nicht auf ihre Grundstücke flogen. Das ganze Mobiliar wurde auf den Hof geworfen und verbrannt. Außerdem wurden sämtliche Kultgegenstände verbrannt oder zumindest beschädigt. Man zündete auf Rat von Einheimischen die Synagoge nicht an, da die umliegenden Gebäude gefährdet worden wären.
Die Wohnung der Familie Meyer wurde im Laufe des Tages von SA-Männern, Schülern und Sinziger Bürgern zerstört. Ein SA-Mann köpfte zum Beispiel alle Sekt- und Weingläser, Schüler schmissen Pflastersteine in die Wohnung und in Richtung der Frau Meyer.
Das Haus ... der Familie Hirsch wurde gegen 9.30 Uhr von städtischen Vollzugsbeamten durchsucht, das Geschäft und sein Inventar von dem auswärtigen Kommando stark beschädigt und geplündert. Auch von Sinziger Randalierern sprachen einige Zeitzeugen. Die christliche Haushaltsgehilfin, Frau Welsch, geborene Peil, betrag trotz aller Proteste von SA-Männern das Haus der Familie Hirsch.
Fünf oder sechs Sinziger demolierten die Wohnung von Abraham und Emma Meyer.
Ein städtischer Polizeibeamter und zwei SA-Männer durchsuchten und beschädigten das Ergeschoß der Wohnung von Familie Louis Meyer. Im ersten Stock wurden Gegenstände von anderen Leuten zerstört. Dem Polizeibeamten, ein Jugendfreund des Sohnes von Frau Meyer, war die Durchführung des Durchsuchungsbefehls, der am Morgen von Koblenz kam und für alle jüdischen Haushalte galt, allerdings sehr peinlich.
Ein anderer Polizeibeamter erhielt den Befehl, alle männlichen Juden zu verhaften und ins Gerichtsgefängnis Koblenz zu bringen. 10 bis 20 Männer wurden vom Marktplatz zu einem offenen Feuerwehrauto vor der Wirtschaft Keller geleitet. Auf diesem Weg wurden die Juden mit Liedern und Schildern gedemütigt. Nach einigen Stunden kamen die Männer jedoch zurück, vermutlich da einige versicherten, täglich ein Ausreisevisum zu erhalten.
Ein junger Mann wollte Wiederstand leisten. Sein Vater ließ ihn jedoch nicht außer Haus, da er Angst hatte, ein schwer bewaffneter Polizist würde seinen Sohn sofort erschießen. Dieser besagte Polizist gab der ganzen Aktion Rückendeckung, womit er den Nazis ihr erfolgreiches „Zuschlagen“ ermöglichte. Der junge Mann holte jedoch bei einer Ärztin für die verwundete Emma Meyer ärztlichen Beistand.
Die Juden begannen noch am selben Tag mit der provisorischen Reparatur ihrer Synagoge. Sie stellten jedoch fest, daß die Schäden zu groß waren, um eine Wiederherstellung durchzuführen.

In Sinzig ging man davon aus, dass es seit dem Abriss keine Relikte aus der Synagoge mehr gibt. Bis Hardy Rehmann und Rudolf Menacher vom Verein zur Förderung der Denkmalpflege und des Heimatmuseums in Sinzig im Winter 2020/2021 bei Archivarbeiten eine Ehrentafel entdeckten, die aus der Synagoge stammt. „Vorangegangen war eine Sondierungsaktion des Landeshauptarchivs Koblenz, um zu ermitteln, was vom Sinziger Stadtarchiv, das mangels geeigneter Lagermöglichkeiten nach Koblenz ziehen wird, für archivwürdig erachtet wird“, berichtete Hildegard Ginzler im General-Anzeiger in einem Beitrag über den Fund der Gedenktafel. Mit Unterstützung durch den städtischen Büroleiter Christian Weidenbach und Pressesprecherin Andrea Stolletz-Maagh hätten die beiden, die Gelegenheit erhalten, „jene Materialien zu sichten, welche für die Koblenzer Einrichtung kaum oder nicht von Belang sind.“ In dem am Rande des Sinziger Kirchplatzes stehenden ehemaligen Wohnhaus des Sinziger Kirchenmusikers Peter Bares „befand sich die Tafel zwischen Büchern, Akten, gerahmten Luftaufnahmen“, schilderte Ginzler, „es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, wann und wie sie in den Archivbestand gelangte.“ Die Tafel ist mit „Synagogengemeinde Sinzig“ überschrieben und von Leo Friesem und Ehefrau Jenny, geborene Rotschild, gewidmet. Sie gilt „unseren im Weltkriege 1914-1918 gefallenen Mitgliedern“: In Frankreich starb 1914 der 32-jährige Ludwig Bähr, und Ernst Friesem starb 1915 genau an seinem 21. Geburtstag. In Rumänien kam im gleichen Jahr der 26-jährige Josef Gottschalk um. An die drei jüdischen Gefallenen des Ersten Weltkriegs erinnert zwar auch die Kriegsopfer-Gedenkstätte „Sinziger Löwe“. Dass die Eheleute Friesem dennoch diese Tafel stifteten, habe mehrere Gründe. Mit ihrer Teilnahme am Ersten Weltkrieg hätten die deutschen Juden, unter ihnen viele deutschnationale Monarchisten, ihre Vaterlandsliebe unter Beweis stellen wollen. Rudolf Menacher, Fachmann für die Geschichte der Sinziger Juden: „Umso schlimmer muss es für sie gewesen sein, dass schon 1916 von antisemitischen völkischen Kreisen Zweifel an ihrer Einsatzbereitschaft geweckt wurden.“ Diese verdichteten sich nach Kriegsende zur „Dolchstoßlegende“, die den Juden vorwarf, sich vor dem Kriegseinsatz gedrückt und an der Heimatfront die deutsche Kriegswirtschaft geschwächt zu haben. Rudolf Menacher sagte zu der Tafel: „Sie wurde brutal aus der Mauer, wo sie befestigt war, herausgebrochen. Deshalb ist sie so verbogen. Ob das in der Pogromnacht geschah oder, wie ich vermute, vor dem Abriss der Synagoge, ist nicht bekannt.“[2]

Siehe auch[Bearbeiten]

Mediografie[Bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten]

Fußnoten

  1. Quelle: Wilhelm Loskot: „Hier stand die Synagoge“ – Errichtung eines Denkmals zu Ehren der jüdischen Verfolgten und Ermordeten des Nazi-Regimes in Sinzig am Rhein, Schnellhefter, DIN-A 4, 41 Seiten, o.J., S. 17-19
  2. Quelle: Hildegard Ginzler: Überrest entdeckt: Was eine vergessene Tafel über jüdisches Leben in Sinzig erzählt, general-anzeiger-bonn.de, 30. März 2021, siehe auch: Ein Überrest der ehemaligen Synagoge - Ehrentafel für gefallene jüdische Soldaten aufgetaucht, blick-aktuell.de, 13. April 2021